Lost World

Ortsname: Waitomo Caves, Waitomo Höhlen.
Attraktionen: Höhlen und Glühwürmer, einzeln oder kombiniert, optional angereichert mit Fun & Action (it's New Zealand!).

Unser B&B-Gastgeber verklickert uns gleich bei der Ankunft, dass, egal wofür wir Geld auszugeben gedenken, diese Attraktion ein Muss und auch noch frei ist: der 45-minütige Ruakuri-Bush-Walk. Eher zwei Muss, denn bei Dunkelheit ist er wegen der Glowworms erneut zu besuchen. Taschenlampen liegen da im Korb.
Was für ein Tip! Der relativ große Parkplatz verheißt zwar nichts Gutes, ist am Nachmittag aber leer - in einer Stunde begegnen uns nur zwei andere Paare. Das Ganze entpuppt sich als Auf-und-Ab-Rundpfad in einer regenwaldartig bewucherten Klamm, die ein zur Zeit unscheinbares Flüsschen in Jahrtausenden in den Muschelkalk gefressen hat. Wundervoll.
Nach Einbruch der Dunkelheit nochmal hin. Vierzig lärmende, mit Stirnlampen ausgerüstete Kinder strömen auf den finsteren Parkplatz. Um den Ort zu verlassen - puh, das war knapp. Ob da jetzt noch Glühwürmchen zu sehen sein werden? Jepp, heftigst, die Dinger scheinen Lärm zu mögen. Es glüht wie ein zu gleichmäßig geratener Sternenhimmel, leicht bläulich schimmernd, die Wand am Fluss entlang. Umwerfend.

Am nächsten Vormittag die erste Höhlen-Tour. Anschnallen, mit dem Minibus geht's auf Schotterwegen eine halbe Stunde über Stock und Stein und Höhenkämme. Wunderschöne Landschaft, bis zum weiten Horizont. Mit mir geht's in Richtung Übelkeit. Gerade denke ich, hier kommt doch höchsten mal der Schäfer lang, da taucht ein Schild auf: "Schulbusroute"...
In die Höhle geht es zu Fuß, auf einem flachen, befestigten Weg, gut beleuchtet. Es folgt das übliche Programm Tropfsteinhöhle. Ab und zu haarscharf an Stalagtiten vorbei, Kopf einziehen. Plötzlich ein unterirdischer Fluss, eine Anlegestelle, ein Schlauchboot für die Minibusmannschaft. Finsternis. Der Führer, ein Maori, zieht das Boot an einem Seil hundert Meter in Richtung eines Wasserfall-Geräuschs. Unser Wasser ist ruhig, da muss es dann wohl abwärts gehen. Er verkneift sich jegliche diesbezügliche Show, hmm.
Den Weg machen wir jetzt 3x hinundher, bis sich jeder an der 100 m langen, wirklich überirdischen Glühwürmchen-Tunneldecke in Trance gesehen hat.
Dann erstmal raus, verschnaufen, Tee und Kekse, Smalltalk.
Zum Schluss noch 'ne Kathedralen-Höhle mit Moa-Gerippe.
Am Nachmittag wird uns klar werden: Ja, das war die Rentnertour.

Die Nachmittagsgestaltung erfordert eine grundlegende Entscheidung: Dry or wet, trocken oder nass? Es ist kühl und wir mögen keinen nach der Vorbenutzung eilgetrockneten Neoprenanzug anpellen, um uns durch Höllenflüsse durchspülen zu lassen ;-) Also was Trockenes. Wie wär's dann mit nur abseilen in eine Höhle und wieder rausklettern? Klingt gut.
Wieder Minibus. Der Führer, wir zwei und zwei Höhlen-Azubis. Habt ihr euch schon mal abgeseilt? Seid ihr schon mal durch eine Höhle geklettert? Nein, nein, aber von einer Brücke gesprungen, biete ich an. Gute Laune (eigentlich sowieso und immer). Auf 'nem hügeligen Feld steht ein Schuppen. Unter dem Vordach in Reih und Glied Gummistiefel und Helme. So einen Gummistiefel haben wir schon angespült in der meilenweit entfernten Klamm gesehen. Wir bekommen unsere Ausrüstung: Overall, Gummistiefel, Helm mit Lampe und ein Geschirr mit zwei kurzen Sicherungsleinen und einem Spezialdingens vor'm Bauch.
Ein Stück weiter geht ein Pfad bergab, hier gibt es erstmal Trockenübungen zum Gebrauch der Sicherungsleinen. Eben mal um die Ecke gelaufen, öffnet sich vor bzw. unter uns ein tiefe Schlucht, in die eine kleine Plattform hinausragt. Don't think of it as high, sagt der Führer, 'Stellt es euch nicht als hoch vor'. Die von der Plattform hängenden Seile reichen 100 m tief hinab. Oh ha. Die Plattform macht einen stabilen Eindruck, die Seile sind allerdings ziemlich dünn. Gut, dass die hier zwar verrückt sind, aber wissen, was sie tun.
Wir schwingen unseren Hintern auf einen neben der Plattform und über dem Abgrund schwebenden Donnerbalken und werden mit dem Spezialdingens, das man im Keller selbst basteln könnte, ins Seil eingeklinkt. Ein mulmiges Gefühl bricht sich Bahn. Die Sicherungsleinen von uns allen werden mit einer Art Notbremse beim Führer verbunden. Alle oder keiner, okay. Mit der rechten Hand in Hüfthöhe am Seil wird gesteuert, ob und wie schnell es abwärts geht; die Touristen geben das Tempo vor. Also loslassen, die linke Hand versuchen zu entkrampfen und die rechte wie erklärt benutzen. Atmen. Tatsächlich, es funktioniert!
Wir seilen uns in die 'Lost World', in die verlorene Welt ab. Es ist gigantisch. Eigentlich fehlen nur Elfen oder/und Dinosaurier.

Kein Gewusel seltsamer Kreaturen am Boden; Neuseeland bleibt diesbezüglich zuverlässig, nämlich überschaubar. Ein letztes Einsaugen dieser sagenhaften Schlucht und hinein in die Höhle, auf den Weg nach oben. Über Felsbrocken jeglicher Größe und Tropfsteingebilde wildester Art geht es zwei Stunden mal eng, mal mit dem Gefühl, ein Winzling zu sein, vor- und aufwärts.

Nicht aufwärts genug, weshalb irgendwann in einer Kathedrale eine schmale Leiter an der Wand senkrecht nach oben führt. Die Helmlampen erfassen irgendwie das Ende nicht, 100 Fuß, 30 m, sagt der Führer. Die wurde nie erwähnt, es kommt zu tumultartigen Szenen in den Köpfen der Touristen. Entzücken und Aufstöhnen stehen Hand in Hand. Ach ja, und Glühwürmchen, aber wir sind schon unbeeindruckte Experten.

Wieder am oben am Schuppen meldet der Führer telefonisch unser aller Überleben.
Die Rückfahrt mit dem Minibus verläuft schweigend, der Führer macht das Radio an.
Er weiß, dass wir sprachlos und erschöpft sind.

[Fotos Waitomo Caves Adventures]